Warum der 1. Mai nicht einfach abgeschafft werden kann
Die Motion, den 1. Mai als Feiertag durch den Berchtoldstag, den 2. Januar, zu ersetzen, hat eine kontroverse Diskussion ausgelöst. Die Debatte war emotional aufgeladen, da der 1. Mai als höchster Feiertag der Gewerkschaften eine besondere Symbolkraft hat. Es wurde kritisiert, dass der Tag für linke Anliegen missbraucht wird, während Ausschreitungen bei den Umzügen immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Diese Argumente scheinen auf den ersten Blick nachvollziehbar: Ausschreitungen sollen vermieden werden, indem ein anderer Feiertag eingeführt wird.
Doch diese Überlegungen blenden einen wichtigen Aspekt aus: den Schutz von Minderheiten und die Bedeutung gelebter Traditionen. Zwar begehen nur wenige den 1. Mai noch in seiner ursprünglichen Bedeutung, doch er bleibt mehr als ein Feiertag: Er ist ein Tag, an dem Minderheiten ihre Anliegen sichtbar machen können.
Mit einem Mehrheitsentscheid das Bedürfnis dieser Minderheiten einfach wegzuwischen, widerspricht dem Prinzip einer offenen, pluralistischen Gesellschaft. Was würde als Nächstes kommen? In einem Kanton, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung einer Landeskirche angehört, könnte mit der gleichen Begründung gefordert werden, Weihnachten abzuschaffen.
Auch historisch gesehen zeigt sich, dass Versuche, den 1. Mai und seine Bräuche zu verdrängen, kaum Erfolg hatten. Schon im 18. Jahrhundert scheiterte die Basler Obrigkeit daran, das Maibaumsetzen im Oberbaselbiet zu verbieten. Rund um den 1. Mai sind Feste und Bräuche entstanden, die weit über politische Inhalte hinausgehen. Das 1. Mai-Schwingen in Oberdorf ist ein gutes Beispiel: ein fest verankerter Brauch, der nichts mit gewerkschaftlichen Forderungen zu tun hat und dennoch ein bedeutender Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist.
Der Landrat hat die Motion mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Eine Entscheidung, die den Wert von Traditionen und das Bedürfnis nach gesellschaftlichem Zusammenhalt berücksichtigt. Statt den 1. Mai zu ersetzen, sollten wir uns dafür einsetzen, diesen Feiertag weiterzuentwickeln, sodass er wieder mehr Menschen anspricht – als ein Tag für Zusammenhalt und für gelebte Traditionen.